KONZERTKRITIK "Neues Glas aus alten Scherben" am 06.11.2009 in der ufaFabrik:

10 Jahre "Neues Glas aus alten Scherben" - das Jubiläumskonzert. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht, war mein erster Gedanke. Konnte ich mich doch noch sehr genau an das Konzert von "Neues Glas aus alten Scherben" im Januar 2000 in der ufaFabrik erinnern. Der CD-Mitschnitt von damals ist bis heute ein treuer Begleiter auf langen Autofahrten. Michael Kiessling war zu dem Zeitpunkt Leadsänger von "Neues Glas" - doch getreu dem Scherben Motto "Alles verändert sich" ist die Zeit an "Neues Glas aus alten Scherben" im vergangenen Jahrzehnt nicht spurlos vorbeigegangen.

Dass eine Band nicht selten, wie ein guter Wein, Jahre braucht, um wirklich zu reifen, davon konnten sich die Fans am 6. November 2009 zum Jubiläumskonzert "10 Jahre - Neues Glas aus alten Scherben", wieder im gut gefüllten Theatersaal der Berliner ufaFabrik, überzeugen. Nur wenige Minuten, zwei Songs, um es genau zu sagen, brauchte es, um den Zauber, der in den Scherben-Songs schlummert, auf das Publikum zu übertragen. Wenige hielt es noch auf den Plätzen, mehr und mehr strömten zur Bühne, tanzten ausgelassen und frei vor der Band um Frontmann, Gitarrist und Sänger Dirk Schlömer. Dessen leicht heisere Stimme und die Tatsache, in den entscheidenden Momenten des Abends, den richtigen Ton zu treffen (und das nicht nur musikalisch!), machten das Jubiläumskonzert zu einem Erlebnis.

"Macht kaputt, was euch kaputt macht" - dieser legendäre Scherben-Song stieß durch Schlömers spezielle Intonation - die Bandbreite reichte vom gehauchten "Macht" bis zum aus dem Leib geschrieenen "Kaputt" in eine neue Dimension vor. Kraftvoll, intensiv und leidenschaftlich - "Neues Glas aus alten Scherben" sind aktueller denn je. Rio Reiser dürfte an diesem Abend von seiner Wolke mit Freude hinuntergeschaut haben...

Daniel Gäsche - Publizist, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Moderator/Reporter/Redakteur, Abendschau/Brandenburg Aktuell/rbb um 6/InfoRadio Berlin-Brandenburg/HA Sport

 

NEUES GLAS aus alten Scherben live 2009

 

 

NEUES GLAS aus alten Scherben 10. Anniversary Party 06.11.2009 Ufa Fabrik Berlin

Gleich zu Beginn gab es in dem überaus gut gefüllten Konzertsaal der Ufa-Fabrik eine Überraschung, indem Dirk Schlömer, mit Mary & Mandy, unerwarteter Weise einen Support aus der eigenen Produktionsschmiede ankündigte. Die blinden (!) Sängerinnen, die vor kurzem mit "Natürlich" ihre erste CD veröffentlichten, gaben hier ein paar Ausschnitte aus eben dieser. In ihren Liedern geht es um persönliche Dinge, Sehnsüchte und Probleme, die von den Beiden ganz "natürlich" und auf eine positive Art und Weise verarbeitet werden. So heißt einer, der hier zu akustischen Gitarren interpretierten Songs, vielleicht nicht ohne Grund "Immer optimistisch bleiben".

"Hoffnung", einer der letzten Songs aus der Feder von Rio Reiser, wählten NEUES GLAS aus alten Scherben als bedeutungsschwangeren Opener. Gleich hier beeindruckte das Quartett mit einer eigenen, völlig neuen Version. Das Soundbild aus treibenden Tribal Drums, Akkordeon und tiefergestimmten Akustikgitarren verlieh dieser Interpretation einen dunklen, dramatischen Anstrich. Vor allem die Zweifler im Publikum, die sich Dirk Schlömer als Frontmann, das heißt Sänger nicht vorstellen konnten, wurden hier eines Besseren belehrt. Das Programm, des eineinhalbstündigen Konzertes, hatte mit "Schritt für Schritt ins Paradies", "Warum geht es mir so dreckig", "Halt Dich an Deiner Liebe fest", "Macht kaputt was Euch kaputt macht" oder "Allein machen sie Dich ein", reihenweise Scherben-Klassiker zu bieten. Durch Schlömers direkten, kämpferischen und ehrlichen Gesang und die interessanten Arrangements, sind diese klanglich nun wieder näher an ihren Ursprüngen. Auch schwierige Parts wie "Da!" und "Zauberland", wurden von ihm mit Bravour bewältigt, wobei er natürlich auf eine Band bauen konnte, welche das Beste ist, das ihm passieren konnte.

Längst hat sich Leander Reininghaus als Zweit - und Bassgitarrist etabliert . Mischka am Keyboard, einst Weggefährte von Rio Reiser und 1999 Mitbegründer der Band NEUES GLAS aus alten Scherben. Schlagzeuger Martin Kruzig, ein Weggenosse Schlömers aus der Band um Tatort-Kommissar Axel Prahl, selber bekennender Reiser -Fan. Diese Konstellation verschafft der Sache eine gänzlich neue Vorraussetzung und Perspektive. Der Grundgedanke einer akustischen Aufarbeitung des Scherben-Materials bleibt, wie zu letzt in der Trio-Besetzung, erhalten - Schlömer und Reininghaus setzten das ganze Konzert über auf akustische Gitarren - werden aber durch Piano, Orgel und Akkordeon, sowie Schlagzeug unterstützt und heben das Soundbild auf ein vorher noch nicht geahntes Niveau. Vom Visuellen her fiel darüber hinaus auf, dass Martin Kruzig , Oberarzt Bela B.-like Standschlagzeug spielte, was die Darbietung in Bezug auf die gesteigerte Actionkomponente auf der Bühne, noch einmal aufwertete.

Während des Konzertes wird man sich der Tatsache bewusst, dass Rio Reisers Texte auch heute noch gültig sind, ja, stellenweise eine noch dringlichere Brisanz besitzen, da sich in den Jahren dazwischen, nicht viel getan hat, der Karren höchstens noch tiefer im Dreck sitzt. So bekommt ein Song wie "Macht kaputt was euch kaputt macht" gerade durch den Herbst 2008 eine gänzlich neue Bedeutung, was Schlömer in einem langen Intro auch klarstellt. Die Zeiten des nach und nach versagenden Turbokapitalismus, die keiner der Verantwortlichen so richtig wahr haben möchte, sind gute Zeiten für Ton Steine Scherben. Und so kommt auch ein Lied wie "Mein Name ist Mensch" doppelt eindringlich, als zu Zeiten, in denen es geschrieben wurde. "Es wird keine zehntausend Jahre mehr dauern, denn die Zeit ist nun reif...". Und vierzig Jahre später ist die Zeit mehr als reif. Schief gehen konnte für Neues Glas mit solch Klassikern, die vom feiernden Publikum dann auch erwartet wurden, sicherlich nicht viel. Mehr als souverän war aber, was man aus diesen gemacht hat, verpasste die Band dem Werk von Ton Steine Scherben und Rio Reiser doch einen zeitgemäßen Kreativschub. NEUES GLAS aus alten Scherben zelebrierte in den alterwürdigen Hallen der ufa Fabrik, wo das Ganze auch seinen Ursprung hatte, ein wundervolles Konzert. Dieses Jubiläum könnte so als ein Neuanfang stehen.

Manfred Wald - Melodie & Rhythmus

 

 

 

Vorband des Abends:

Mary & Mandy

http://www.myspace.com/maryundmandy

http://maryundmandy.de