NEUES GLAS aus alten Scherben 10. Anniversary Party 06.11.2009 Ufa Fabrik Berlin
Gleich zu Beginn gab es in dem überaus gut gefüllten Konzertsaal der Ufa-Fabrik eine Überraschung, indem Dirk Schlömer, mit Mary & Mandy, unerwarteter Weise einen Support aus der eigenen Produktionsschmiede ankündigte. Die blinden (!) Sängerinnen, die vor kurzem mit "Natürlich" ihre erste CD veröffentlichten, gaben hier ein paar Ausschnitte aus eben dieser. In ihren Liedern geht es um persönliche Dinge, Sehnsüchte und Probleme, die von den Beiden ganz "natürlich" und auf eine positive Art und Weise verarbeitet werden. So heißt einer, der hier zu akustischen Gitarren interpretierten Songs, vielleicht nicht ohne Grund "Immer optimistisch bleiben".
"Hoffnung", einer der letzten Songs aus der Feder von Rio Reiser, wählten NEUES GLAS aus alten Scherben als bedeutungsschwangeren Opener. Gleich hier beeindruckte das Quartett mit einer eigenen, völlig neuen Version. Das Soundbild aus treibenden Tribal Drums, Akkordeon und tiefergestimmten Akustikgitarren verlieh dieser Interpretation einen dunklen, dramatischen Anstrich. Vor allem die Zweifler im Publikum, die sich Dirk Schlömer als Frontmann, das heißt Sänger nicht vorstellen konnten, wurden hier eines Besseren belehrt. Das Programm, des eineinhalbstündigen Konzertes, hatte mit "Schritt für Schritt ins Paradies", "Warum geht es mir so dreckig", "Halt Dich an Deiner Liebe fest", "Macht kaputt was Euch kaputt macht" oder "Allein machen sie Dich ein", reihenweise Scherben-Klassiker zu bieten. Durch Schlömers direkten, kämpferischen und ehrlichen Gesang und die interessanten Arrangements, sind diese klanglich nun wieder näher an ihren Ursprüngen. Auch schwierige Parts wie "Da!" und "Zauberland", wurden von ihm mit Bravour bewältigt, wobei er natürlich auf eine Band bauen konnte, welche das Beste ist, das ihm passieren konnte.
Längst hat sich Leander Reininghaus als Zweit - und Bassgitarrist etabliert . Mischka am Keyboard, einst Weggefährte von Rio Reiser und 1999 Mitbegründer der Band NEUES GLAS aus alten Scherben. Schlagzeuger Martin Kruzig, ein Weggenosse Schlömers aus der Band um Tatort-Kommissar Axel Prahl, selber bekennender Reiser -Fan. Diese Konstellation verschafft der Sache eine gänzlich neue Vorraussetzung und Perspektive. Der Grundgedanke einer akustischen Aufarbeitung des Scherben-Materials bleibt, wie zu letzt in der Trio-Besetzung, erhalten - Schlömer und Reininghaus setzten das ganze Konzert über auf akustische Gitarren - werden aber durch Piano, Orgel und Akkordeon, sowie Schlagzeug unterstützt und heben das Soundbild auf ein vorher noch nicht geahntes Niveau. Vom Visuellen her fiel darüber hinaus auf, dass Martin Kruzig , Oberarzt Bela B.-like Standschlagzeug spielte, was die Darbietung in Bezug auf die gesteigerte Actionkomponente auf der Bühne, noch einmal aufwertete.
Während des Konzertes wird man sich der Tatsache bewusst, dass Rio Reisers Texte auch heute noch gültig sind, ja, stellenweise eine noch dringlichere Brisanz besitzen, da sich in den Jahren dazwischen, nicht viel getan hat, der Karren höchstens noch tiefer im Dreck sitzt. So bekommt ein Song wie "Macht kaputt was euch kaputt macht" gerade durch den Herbst 2008 eine gänzlich neue Bedeutung, was Schlömer in einem langen Intro auch klarstellt. Die Zeiten des nach und nach versagenden Turbokapitalismus, die keiner der Verantwortlichen so richtig wahr haben möchte, sind gute Zeiten für Ton Steine Scherben. Und so kommt auch ein Lied wie "Mein Name ist Mensch" doppelt eindringlich, als zu Zeiten, in denen es geschrieben wurde. "Es wird keine zehntausend Jahre mehr dauern, denn die Zeit ist nun reif...". Und vierzig Jahre später ist die Zeit mehr als reif. Schief gehen konnte für Neues Glas mit solch Klassikern, die vom feiernden Publikum dann auch erwartet wurden, sicherlich nicht viel. Mehr als souverän war aber, was man aus diesen gemacht hat, verpasste die Band dem Werk von Ton Steine Scherben und Rio Reiser doch einen zeitgemäßen Kreativschub. NEUES GLAS aus alten Scherben zelebrierte in den alterwürdigen Hallen der ufa Fabrik, wo das Ganze auch seinen Ursprung hatte, ein wundervolles Konzert. Dieses Jubiläum könnte so als ein Neuanfang stehen.
Manfred Wald - Melodie & Rhythmus